top of page

Eutiner Amtsgericht: Cannabis als Schmerzmedizin - Rollstuhlfahrer vor Gericht

vom 28. Januar 2015

Aus der Redaktion des Flensburger Tageblatts

Konrad Mertens* ist kein typischer Straftäter. Der Rollstuhlfahrer baute Cannabis für den Eigenbedarf an, um seine Schmerzen zu ertragen. Vor das Eutiner Gericht musste er dennoch.

See 468 articles about Cannabis

In Eutin landet ein junger Rollstuhlfahrer vor Gericht, weil er die Pflanze als Mittel gegen seine Schmerzen anbaut.

Eutin | Es war nicht der typische Drogenkonsument, der sich am Mittwoch vor dem Eutiner Amtsgericht wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verantworten musste: Konrad Mertens* (34) sitzt seit seinem Badeunfall vor 15 Jahren im Rollstuhl. Er brach sich damals einen Halswirbel beim Sprung ins Wasser. Seitdem quälen ihn regelmäßige Spastiken und Missempfindungen. „Ich habe dafür Medikamente bekommen, doch die Schmerzen wurden mit der Zeit schlimmer. Die ursprünglichen Medikamente halfen nicht mehr“, erzählt er. Ärzte verschrieben ihm andere Mittel, deren Nebenwirkungen aber für ihn nicht hinnehmbar waren. Erst ein Schmerztherapeut aus Middelburg konnte ihm mit seiner Empfehlung, es einmal mit einem THC-haltigen Medikament zu probieren, wirklich weiterhelfen.

Das Problem: „Die Kosten für diese Medikamente übernimmt die Krankenkasse nicht und ich kann sie mir nicht leisten“, sagt Konrad Mertens* vor Gericht. Er beziehe Grundsicherung und eine Erwerbsminderungsrente, doch damit seien keine Mittel mit synthetisch hergestelltem Cannabinoid von 430 Euro im Monat zu finanzieren.

Konrad Mertens* entschloss sich deshalb für den Eigenanbau von Cannabis im kleinen Gartenhaus – nur während der Sommermonate, um die Sonnenenergie zu nutzen. Per Zufall hatten Polizisten die Pflanzen entdeckt, als sie ihn am 24. August 2013 vor seiner Haustür angehalten und kontrolliert hatten. Die übliche Maschinerie kam in Gang: Der Fall ging zur Staatsanwaltschaft, das Landeskriminalamt untersuchte die Pflanzen und kam auf 15 Gramm THC-Gehalt. Laut Gesetz ist das „eine nicht geringe Menge“, die mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr zu ahnden ist – die Grenze nach oben reicht bis zu 15 Jahren. Der Richter nahm – ebenso wie der Staatsanwalt – jedoch einen minderschweren Fall an und verwarnte Konrad Mertens*, behielt sich aber die Verhängung einer Geldstrafe (900 Euro) vor, sollte Konrad Mertens* binnen seiner einjährigen Bewährungszeit straffällig werden.

Alle Beteiligten hatten sich im Vorfeld bemüht, die Hauptverhandlung zu verhindern, wie Konrad Mertens‘* Verteidiger Thomas Hoppmann sagte. „Doch der Gesetzgeber lässt uns keine andere Wahl. Dieser Verstoß wird als Verbrechen und nicht als Vergehen eingestuft, somit konnten wir das Verfahren nicht einfach einstellen“, begründete der Staatsanwalt. Eine Verwarnung, so der Richter, sei da das denkbar mildeste Ende des Verfahrens, denn er habe nachvollziehbare Motive gehabt.

Jetzt versucht Konrad Mertens* von der Bundesopiumstelle eine Genehmigung für den Eigenanbau zu bekommen. Einen Ausweis der zum Besitz und der Einnahme von synthetisch hergestellten Cannabinoid berechtigt, hat er bereits vom Arzt bekommen. Doch neben der abgeschwächten Wirkung des synthetisch hergestellten Mittels ist der Preis das Problem. Hoppmann: „Vor uns liegt noch ein langer Weg.“ Er rechnet mit mindestens zwei Jahren, bis eine Entscheidung auf dem Tisch liegt.

Bis dahin muss Konrad Mertens* seine Schmerzen ertragen. Drei Urteile des Kölner Verwaltungsgerichts aus dem Sommer, wonach Betroffene Anspruch auf den eigenen Anbau haben, wenn es ihnen aus medizinischen Gründen verordnet wurde und sie keine anderen finanziellen Möglichkeiten haben, sind noch nicht rechtskräftig. Hoppmann: „Es ist offensichtlich politisch nicht gewollt, sonst hätte man schon längst etwas geändert.“

* Name geändert

bottom of page